Dienstag, 26. April 2016

Freitod

Lange habe ich überlegt - Wie schreibe ich diesen Post? Schreibe ich ihn überhaupt? Wenn jemand den Freitod wählt ist das an sich schon eine schlimme Sache, aber letzten Endes bin ich zu dem Schluss gekommen, dass man das Thema nicht tabuisieren soll.

Vor 1,5 Wochen hat sich in meiner Nachbarschaft etwas Tragisches ereignet. Draußen standen Rettungsautos, Notarzt, später noch die Polizei, die Kripo und ein Leichenwagen. Ich wusste, dass etwas Schlimmes passiert war. Die Frage ob Unfall oder eben Suizid war leider auch sehr schnell geklärt. : / Damit ihr die Situation richtig versteht, zwischen dem Haus der betroffenend Familie und uns steht nur das Haus von meinem Schwiegervater. Wir haben kein freundschaftliches Verhältnis, so dass man sich alle paar Wochenenden gegenseitig zum grillen einladet o.ä., aber man wohnt eben doch schon seit einigen Jahren eng beieinander. Leider hat sich nun einer der Söhne dieser Familie mit 15 Jahren zum Freitod entschlossen. Um ihnen zu kondolieren, habe ich eine Trauerkarte gemacht. Und ihr könnt mir glauben - mir ist noch nie etwas so schwer von der Hand gegangen.


Ich wollte unbedingt, dass eine der Pusteblumen-Schirmchen silber embossed ist. Ich kannte Raul nur als fröhliches Kind, das im Sommer viel auf der großen Wiese hinter dem Haus gespielt hat. Im letzten Jahr reifte er langsam, irgendwo zwischen Kind - Pubertierendem - Mann. Dass das eine schwierige Zeit ist wissen wir alle. Dass es ihm so schlecht geht wusste ich nicht. Wie gesagt, ich weiß wie alle Familienmitglieder heißen, sogar den Hund kenne ich, ich weiß nonanet wo sie wohnen und man grüßt sich, aber wir haben einfach sonst nix miteinander zu tun. Und das ist letzten Endes der Knackpunkt. Ich habe von den Einsatzkräften bis über das Wehklagen alles mitbekommen, wie live im Fernseher aber ich schämte mich auch irgendwie weil es mich ja "nix angeht". Wisst ihr wie ich meine?

Warum es mir aber wichtig war darüber zu schreiben kann ich euch genau sagen. 1. tut es gut das Ganze mal von der Seele zu schreiben und 2. ein Appell: Nehmt es ernst wenn eure Kinder, Freunde, Jugendliche sagen, dass ihnen alles egal ist. Das ist ein Zeichen von Depressionen und nur allzu gern tut man es als pubertierenden Unsinn ab. Bitte kondoliert mir hier nicht. Ich bin betroffen und in Trauer um ihn, aber ihr ich bin nicht Teil der Trauerfamilie. Ich will aber dass man darüber spricht und zwar nicht im Sinne von "sich das Maul verreißen" sondern im Sinne von "Aufklärung". Depressionen sind eine ernstzunehmende Krankheit, die jeden Treffen kann.


Ich gehe zu denen, die mich liebten.
Ich warte auf die, die mich lieben.

Raul, wir beten für dich, dass du Ruhe und Frieden findest. Auch für deine Familie, die sehr um dich trauert.

6 Kommentare :

  1. Wunderschöne Karte, wenn man das so sagen kann und sehr einfülsam geschrieben

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  2. Meine Liebe, das hast du wundervoll geschrieben. Und ich bin völlig bei dir, wenn es um das Thema Depression geht. Das Schlimmste ist, darüber zu schweigen, denn irgendwann ist es vielleicht zu spät. Leider muss auch ich heut Abend eine solch traurige Karte machen. Vielleicht nehm ich dich gleich als Inspiration. Auch wenn sich das Wort in dem Zusammenhang irgendwie nur schwerlich tippt. Liebste Grüße, Schneewittchen

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  3. Sehr schöne Karte. Ich glaube der Familie gibt es Trost und Kraft, wenn viele Menschen Anteilnahme am Verlust eines so jungen Menschen zeigen. Du hast das wirklich sehr einfühlsam und toll geschrieben. Danke für deine Inspiration. Liebe Grüße Ariane

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  4. Sehr schön Judith! Und genau die richtigen Worte gewählt!

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  5. Die Karte ist wirklich wunderschön! Und selbst beim Lesen bin ich tief betroffen und stell mir den fröhlichen spielenden Jungen vor. Was für ein Verlust das im Herzen der Familie sein muss mag ich mir gar nicht ausdenken! Was für ein trauriger Post!

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  6. Liebe Judith, du hast das sehr zu Herzen gehend geschrieben und sehr aufrichtig. Da ich beruflich auch manchmal solche Karten kaufen und schreiben muss, bin ich immer dankbar, wenn ich solche Zeilen lesen darf. Weil ich mich beim Schreiben der Karte in die Familie hineindenken möchte, was die jetzt durchmachen und dafür die richtigen Worte für einen - zumindest kleinen - Trost finden möchte. Einmal hat mich sogar eine Mutter darauf angesprochen und mir für meine Worte gedankt. Ich hatte anscheinend die richtigen getroffen, obwohl ich die Familie nicht persönlich kannte. Aber das ist sehr schwer und deshalb möchte ich dir für diesen Post danken. Gerlinde

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